Persönlichkeitsrechte enden nicht am Werkstor
Seit Jahren ist das Problem bekannt, trotzdem gibt es bis heute noch kein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Gerade in Anbetracht der zunehmenden prekären Beschäftigungsverhältnisse sei ein allgemeines Gesetz wichtig, welches Mitbestimmung und die Achtung der Persönlichkeitsrechte gewähre, so Jan Korte in seiner Rede zum Arbeitnehmerdatenschutz, die Sie hier ansehen und nachlesen können:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 1986 wird ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz gefordert. Man kann also heute nicht von einem Schnellschuss sprechen. Das geht, mit Verlaub, völlig am Thema vorbei. Das möchte ich vorwegsagen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Gisela Piltz (FDP): Das Thema nicht! Der Gesetzentwurf schon!)
Erinnern wir uns: Die Bahn schnüffelte 173.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus. Ein Textildiscounter spitzelt hinter den Mitarbeitern her, ob sie vielleicht verschuldet sind; denn dann dürfen sie nicht hinter der Kasse sitzen. In vielen Unternehmen - das können wir im Wochenrhythmus erfahren - kommt ans Tageslicht, dass Mails mitgelesen werden, Telefonate abgehört werden und
(Zuruf von der CDU/CSU: Wie früher die Stasi!)
dass Gewerkschafter bespitzelt werden. Das muss man sich einmal vorstellen.
Erinnern wir uns weiter: Bei Lidl ging es sogar so weit, dass in den Umkleidekabinen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Supermarktes gefilmt wurde. Man muss sich darüber im Klaren sein, was hier im Land abgeht. Das ist offensichtlich die Regel und nicht die Ausnahme. Deswegen ist es höchste Eisenbahn, dass der Staat hier eingreift, um dem Einhalt zu gebieten.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir müssen uns in diesem Hause einig sein, dass die Bundesregierung und der Bundestag endlich ein deutliches Zeichen setzen müssen, dass die Persönlichkeitsrechte von Bürgerinnen und Bürgern nicht am Werkstor und auch nicht in den Umkleidekabinen von Angestellten eines Supermarktes enden.
(Beifall bei der LINKEN)
Seit 1986 wird ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz gefordert. In der letzten Wahlperiode gab es zwei gemeinsame Beschlussempfehlungen zum Bericht des Bundesdatenschutzbeauftragten. Das ist insofern bemerkenswert, als diese gemeinsamen Beschlussempfehlungen von allen gemeinsam, also von der Linken bis zur CSU, getragen wurden, was nicht alltäglich ist. Das sollte man hier einmal anmerken. Mehrfach wurde in diesen Beschlussempfehlungen die Bundesregierung von allen Fraktionen aufgefordert, endlich ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz vorzulegen. Passiert ist aber nichts. Die Skandale gehen munter weiter, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind geradezu Freiwild in vielen Unternehmen.
Es ist sicher interessant, was heute vorgelegt wurde. Darin sind viele wichtige Punkte enthalten. Das ist richtig. Allerdings kann ich Ihnen folgenden Vorwurf nicht ersparen: Die SPD war elf Jahre in der Bundesregierung. Wenn es ein zentrales Anliegen der SPD gewesen wäre, dann hätte man in diesen elf Jahren etwas machen können.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Unsere Unterstützung hätten Sie dabei gehabt. Passiert ist aber nichts. Zwei Wochen vor der Wahl haben Sie, Herr Scholz, als Arbeitsminister angekündigt, Sie würden etwas vorlegen. Danach sind Sie aus der Regierung geflogen und sind jetzt in der Opposition. Heute legen Sie nun endlich einen Gesetzentwurf vor. Geschenkt! Wichtig ist, dass wir diesen Gesetzentwurf gemeinsam durchbekommen.
Nach den heutigen Redebeiträgen kann man sagen, dass das Hauptproblem die CDU/CSU ist. Bei der FDP weiß man, seit sie in der Regierung sitzt, nicht mehr, wie zu den Bürgerrechten steht und ob sie nicht lieber die Interessen der Wirtschaftskonzerne exekutiert. Deshalb wird das Vorhaben wahrscheinlich nicht erfolgreich sein.
(Gisela Piltz (FDP): Dabei hab ich für Sie geklatscht! Und das ist jetzt der Dank!)
Dass Sie geklatscht haben, hat mich für kurze Zeit ideologisch irritiert.
(Beifall bei der LINKEN - Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, jetzt wirklich eine gesetzliche Regelung voranzubringen. Sie sollten sich einmal überlegen, dass Arbeitsverhältnisse, wie es der Begriff schon ausdrückt, Abhängigkeitsverhältnisse sind. Hinzu kommt, dass die Zunahme von prekärer Beschäftigung in den letzten Jahren zu einer größeren Abhängigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und vor allem zu sehr viel weniger Mitbestimmung geführt hat. Es ist richtig, dass wir ein allgemeines Arbeitnehmerdatenschutzgesetz voranbringen; denn die prekäre Beschäftigung hat zu weniger Mitbestimmung und zu einer geringeren Achtung der Persönlichkeitsrechte geführt.
Gerade in Zeiten der Krise und in Zeiten von mehr prekärer Beschäftigung wird die Angst der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer größer deswegen auch das Aufbegehren und der Widerstand. Die Interessenvertretung ist geschwächt worden. Wenn wir ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz beschließen, das transparent ist, in dem klare Rechte formuliert werden und das bestimmten Unternehmenspraktiken klar Einhalt gebietet, dann bedeutet ein solches Arbeitnehmerdatenschutzgesetz für die einzelne Arbeitnehmerin und den einzelnen Arbeitnehmer ein Mehr an Mitbestimmung, ein Mehr an Demokratie und vor allem ein Mehr an Selbst- und Mitbestimmung. Nach so vielen Jahren müssen wir endlich in die Puschen kommen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn wir über ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz, über die Skandale in den Unternehmen und darüber, wie Mitarbeiter ausgeforscht worden sind, diskutieren, dann sollten wir der Staat, der Bundestag, die Bundesregierung innehalten und überlegen, was wir mit den Bürgerrechten und der Demokratie in den letzten Jahren gemacht haben. Man kann es auf einen Punkt bringen: In vielen Wirtschaftsunternehmen wird das nachgemacht, was im Bundestag und von der jetzigen und der vorhergehenden Bundesregierung vorgemacht worden ist, nämlich eine exorbitante Datensammelwut zu veranstalten. Deswegen ist in diesem Zusammenhang auch der Staat gefragt, endlich einmal innezuhalten und einen anderen Weg einzuschlagen.
(Beifall bei der LINKEN)
Eine letzte Anmerkung möchte ich machen. Wenn wir über ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz diskutieren und es hoffentlich endlich auf den Weg bringen, dann sollten wir auch an die Arbeitslosen, an die Hartz IV-Empfänger denken. Für sie gibt es nämlich de facto überhaupt keine Datenschutzregeln. Darüber müssen wir miteinander diskutieren; denn nur gemeinsam werden wir es hinbekommen, hier etwas zu ändern. Erinnern Sie sich an die Skandale, die es in einigen Argen in den letzten Wochen gab. Deswegen ist es richtig, über Arbeitnehmerdatenschutz zu sprechen. Es ist genauso wichtig, auf die Gruppe der Hartz-IV-Empfänger einzugehen, die sich in der Arge angesichts der Fragen und dessen, was sie offenlegen müssen, gewissermaßen nackig machen müssen.
Nur zusammen werden wir es hinbekommen, einen wirklichen Kurswechsel zu bewerkstelligen. Dafür steht die Linke, dafür werden wir alles tun. Vor allem werden wir dafür im Parlament und auf der Straße richtig Druck machen. Es wird Zeit.
Danke.
(Beifall bei der LINKEN)