Regieren ohne Parlament
Wenn die Bundesregierung das Parlament dazu missbraucht, längst beschlossene internationale Abkommen nur noch formal abzunicken, beschädigt sie damit die Demokratie und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Parlamentarismus, so Jan Korte in seiner Rede zum »Gesetz zur Umsetzung des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika vom 1. Oktober 2008 über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität«. Dabei müsse der eigentliche Inhalt des Datenübermittlungsabkommen zwischen der Bundesrepublik und den USA wird der Legislative zur Beschlussfassung vorgelegt werden:
‘Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
abermals wird ein derart schwerwiegender Eingriff - wie der vorliegende Gesetzentwurf - in die Freiheits- und Grundrechte, in den Datenschutz und die Schutzbestimmungen des Grundgesetzes zu später Stunde, mit dem Willen dieses Thema möglichst geräuschlos an der Öffentlichkeit vorbei zu den Akten zu legen, hier im Bundestag diskutiert. Der eigentliche Inhalt des Datenübermittlungsabkommen zwischen der Bundesrepublik und den USA wird der Legislative gar nicht erst zur Beratung und Beschlussfassung vorgelegt. Lediglich die Rechtsanpassungen, zur effizienten Handhabe des Abkommens, werden uns hier zur Diskussion gestellt.
Sehr geehrter Herr Präsident,
ich möchte hiermit offiziell meinen Protest gegen diesen Umgang der Bundesregierung mit den gewählten Abgeordneten in unserer Demokratie anmelden. Das Parlament ist nicht das Abnickorgan exekutiver Überwachungs- und Allmachtsphantasien.
Herr Präsident,
diese Debatte heute ist eine Farce. Sie beschädigt die Demokratie und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Parlamentarismus. Denn worum geht es hier eigentlich?
Es geht darum, dass über den heute zu verhandelnden Entwurf eines Umsetzungsgesetzes der Bundesregierung durch die Hintertür ein aus meiner Sicht - und damit steht DIE LINKE bei weitem nicht alleine da - grundgesetzwidriges Abkommen zwischen der Bundesrepublik und den USA legitimiert werden soll. Die Ergebnisse des am 1. Oktober 2008 geschlossenen Abkommens wurden trotz der bürgerrechtlichen Brisanz und der Tiefe der Eingriffe in die Freiheiten der Menschen in diesem Lande dem Parlament nicht vorgelegt.
Wieder einmal muss die Begrifflichkeit des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus und die schwerwiegende Kriminalität herhalten, um unsere Gesellschaft weniger frei und damit unsicherer zu machen. Mit diesem Abkommen sollen personenbezogenen Daten, darunter DNA-Daten, einer unbegrenzten Zahl US-amerikanischer Sicherheitsbehörden, darunter Geheimdiensten jeder Art, zugänglich gemacht werden. Via Online-Zugriff werden Datenbanken deutscher Sicherheitsbehörden für US-Geheimdienste und Sicherheitsbehörden geöffnet. Datenschutzvorkehrungen oder bürgerrechtliche Aspekte, wie eine Begrenzung der zu übermittelnden Daten oder eine Begrenzung der Speicherfristen sowie eine wirkliche Zweckbindung sind hierin nicht vorgesehen. Das Abkommen zeichnet sich vielmehr durch eine völlig haltlose Unverhältnismäßigkeit, mangelnde Bestimmtheit, unzureichende Zweckbindung, fehlende Sicherungen oder effektiven Rechtsschutz aus.
So werden neben Namen und Geburtsdaten auch Identifikationsnummern und Fingerabdrücke gespeichert und ausgetauscht. Mehr noch: Über den Umweg des Abkommens sollen nunmehr nicht nur in den USA, sondern auch in der Bundesrepublik Informationen über »die Rasse oder ethnische Herkunft, politische Anschauungen, religiöse oder sonstige Überzeugungen oder die Mitgliedschaft in Gewerkschaften, die Gesundheit und das Sexualleben« gespeichert werden. Das ist der grundrechtspolitische Dammbruch.
Doch Bundesinnenminister Schäuble (CDU) reicht das noch immer nicht. In der Gegenäußerung der Bundesregierung auf die Stellungnahme des Bundesrates, vor allem den Artikel 12 des Abkommens, also die soeben zitierten Informationen, die zusätzlich gespeichert und übermittelt werden sollen, betreffen, ist gar nicht mehr die Rede von der Speicherung von Informationen allein über die Gewerkschaftszugehörigkeit. Nein, hierin wird besonders auf die aktiven, mit Funktionen ausgestatteten GewerkschafterInnen abgehoben (BT-Drs. 16/13185), wenn es heißt: »…. darunter womöglich eine bestimmte Gewerkschaftsfunktion…«. Nicht nur, dass deutschen Gewerkschaftsmitglieder eine Nähe zu Terrorismus und internationaler Kriminalität angedichtet wird, nein, das aktive Gewerkschaftsengagement wird durch die Bundesregierung »womöglich« als eine Gefährdung angesehen. Besonders problematisch wird diese Aussage besonders dann, wenn man bedenkt, dass es die Bundesregierung bislang nicht fertig gebracht hat, eine Definition dafür zu finden, was denn eigentlich unter »internationalem Terrorismus« zu verstehen ist. Dementsprechend wird der Begriff seit 2001 so ziemlich für alles genutzt, was hilft, das Überwachungsnetz im Namen der Freiheit und der Sicherheit enger zu weben.
Und erneut wird über dieses Abkommen das Bundeskriminalamt zu einer Superbehörde im Dunkelbereich ausgebaut. Die Bundesregierung versteckt dies in ihrem Umsetzungsgesetz mit dem Vorschlag, das BKA zur alleinigen Kontaktstelle zwecks Umsetzung des Datenabkommens mit den USA zu machen.
Gleichzeitig weist die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung selbst die Versuche des Bundesrates zurück (BT-Drs. 16/13186), eine Kontrollinstanz innerhalb des BKA zur Überwachung der Übermittlungs- und Austauschsverfahren einzuführen. Die Antwort der Bundesregierung, wonach die »Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausreichend sensibilisiert« wären und deshalb eine Kontrolle durch einen Richter und einen amtseigenen Richter »nicht erforderlich« sei, ist anmaßend.
Dieses Verfahren, dieses Abkommen, diese Debatte, dieser Entwurf eines Umsetzungsgesetzes ist eine gefährliche Farce und werden aus den genannten und vielen weiteren Gründen - die bekanntlich im Detail liegen - von der Fraktion DIE LINKE unter schärfstem Protest abgelehnt.’