"Geheimdienstler können weiter Flüchtlinge aushorchen"
Mit der öffentlichen Enttarnung und Auflösung der „Hauptstelle für Befragungswesen“ (HBW) durch das Bundesinnenministerium (BMI) versuchte die Bundesregierung den Eindruck zu erwecken, die kritisierte Geheimdienstbefragung und Verwertung von vertraulichen Angaben Schutzsuchender in Asylverfahren würden beendet. Der Parlamentarische Staatssekretär beim BMI Dr. Ole Schröder hatte auf Jan Kortes Anfrage im Parlament am 28.11.2013 erklärt, „die organisatorische Auflösung der HBW“ verfolge das „Ziel, die Befragungen direkt in den Krisenregionen im Ausland zu intensivieren“. Die Menschen sollten also nicht als Flüchtlinge in Deutschland, sondern bereits vor ihrer Flucht im Herkunftsland zu möglichen Informationen befragt werden, so wurde diese Antwort allgemein gedeutet. „Mit dem Ausspionieren von Flüchtlingen soll Schluss sein“, titelte entsprechend ZEIT-online am 20. März 2014.
Doch weit gefehlt. Nach wie vor gilt: Traue keinem Geheimdienst – und auch nicht der Bundesregierung! Denn der erweckte Eindruck war ein falscher, wie es sich für einen Geheimdienst gehört. Die Antwort auf eine schriftliche Frage von Jan Korte hat ergeben, dass offenkundig nur das längst vergilbte Türschild „HBW“ abgehangen wurde, die Befragungs- und Ausspähungspraxis gegenüber Asylsuchenden aber unverändert fortgeführt wird. Die öffentlich verkündete Aufgabe der bereits seit langem aufgeflogenen Legende „HBW“ war offenbar der Versuch einer weiteren Legendenbildung zur ungestörten Fortführung der kritisierten Praxis.
Die Bundesregierung, in Person des Staatssekretärs Dr. Günter Krings, erklärte in der Antwort vom 5. Mai 2014, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weiterhin „von sich aus Informationen aus Asylverfahren an den Bundesnachrichtendienst (BND) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen“ übermittle. „BND und BfV dürfen zur Erfüllung ihrer Aufgaben ihrerseits das BAMF um Übermittlung von Informationen aus Asylverfahren ersuchen“. Und weiter: „Zur Gewinnung von … relevanten Erkenntnissen können BND bzw. BfV künftig auch Befragungen von Asylbewerbern durchführen“. Auch dem Militärischen Abschirmdienst würden Informationen übermittelt, „darunter gegebenenfalls auch Niederschriften aus Befragungen im Rahmen des Asylverfahrens“, „der MAD ist befugt, im Rahmen seiner gesetzlichen Zuständigkeit Befragungen zur Sachverhaltsaufklärung offen durchzuführen“.
Zusammengefasst: Die geheimdienstliche Befragung und Ausspähung von Asylsuchenden in Deutschland und umfassende, auch internationale Verwertung dieser Informationen geht unverändert weiter. Bei der Auflösung der „HBW“ handelte es sich um ein reines Ablenkungsmanöver und um die Entsorgung einer längst aufgeflogenen Legende.
Das fragwürdige geheimdienstliche Abschöpfen von Asylsuchenden muss sofort beendet werden. Dies gilt erst recht, weil die auf diese Weise gewonnenen Informationen in großen Teilen auch an ausländische Gemeindienste übermittelt werden und die Bundesregierung in der Vergangenheit nicht einmal ausschließen konnte, dass sie zu völkerrechtswidrigen tödlichen Drohneneinsätzen der USA genutzt wurden.
Über die Antwort auf die Schriftliche Frage haben mehrere Medien berichtet, unter ihnen die Tageszeitung "Neues Deutschland":
"Geheimdienstler können weiter Flüchtlinge aushorchen" Neues Deutschland vom 16.5.2014