Zensusvorbereitungsgesetz 2021 ist unnötig, teuer und unsicher
Rede zu Protokoll vom 1.12.2016 zu TOP 28:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus einschließlich einer Gebäude- und Wohnungszählung 2021 (Zensusvorbereitungsgesetz 2021 – ZensVorbG 2021) (Drucksache 18/10458)
Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,
heute behandeln wir mit dem Zensusvorbereitungsgesetz 2021 ein Gesetzesvorhaben der Bundesregierung von einiger Tragweite.
Denn etwa zehn Prozent aller in Deutschland ansässigen Personen sollen im Rahmen des Zensus 2021 zur Beantwortung umfangreicher Fragebögen gezwungen werden.
Bei Nichtbefolgung werden die Behörden, wie beim letzten Zensus 2011, mit Buß- und Zwangsgeldern von 300 bis zu 5000 Euro drohen. Darüber hinaus werden zahlreiche sensible persönliche Daten aus diversen anderen Datensammlungen ohne die Einwilligung oder Benachrichtigung der Betroffenen zusammengeführt.
Auch für 2021 - und dann alle zehn Jahre erneut - schreibt die EU-Richtlinie 763/2008 vor, umfassende Daten über die Bevölkerung und Wohnsituation vorzulegen. Es war noch die vorangegangene große Koalition, die mit ihrem Zensusgesetz 2009 allerdings weit über diese europäische Vorgabe hinausging und ähnlich wie beim Vorratsdatenspeicherungsgesetz die Gelegenheit nutzte, um möglichst viele Daten der Bürgerinnen und Bürger zu sammeln und zu speichern.
Die beiden Säulen des Zensus - Registerzusammenführung und „Stichproben“-Erhebung von immerhin zehn Prozent der Bevölkerung - bilden mit den Daten der 18 Millionen Wohnungs- und Hauseigentümer und der Erfassung der Bewohner sensibler Sonderbereiche (Justizvollzugsanstalten, psychiatrische Einrichtungen, Krankenhäuser, Behindertenwohnheime und Notunterkünfte für Wohnungslose, aber auch Kasernen und Studentenwohnheime) die Informations- oder Datenbasis des Projekts, die zentral gespeichert wird.
Schon beim letzten Zensus vor fünf Jahren kritisierte meine Fraktion, dass eine derart teure und aufwändige Volkszählung angesichts ausreichender Daten bei den Meldeämtern heutzutage nicht nötig ist. Immerhin kalkulieren sie diesmal bereits zu Beginn mit ca. 331,7 Millionen Euro. Beim letzten Mal gingen sie im Gesetzentwurf zum ZensVorbG2011 vom 30.5.2007 mit 176 Millionen Euro nur von knapp der Hälfte aus. Am Ende kostete der Zensus 2011 nach ihren Angaben dann allerdings insgesamt 667,4 Millionen Euro. Entweder sind sie jetzt ein wenig vorsichtiger mit ihren Prognosen geworden oder wir müssen, wenn man den „normalen“ Fehlerquotienten ihrer Berechnungen zu Grunde legt, mit Gesamtkosten von 1,26 Mrd. Euro rechnen.
Das erscheint mir dann doch selbst für ihre Verhältnisse und angesichts der Einsparungen in vielen wichtigen Bereichen sowie des völlig zweifelhaften Nutzen der Volkszählung reichlich übertrieben und verantwortungslos zu sein.
Denn dass die Planungssicherheit, mit der sie ja argumentieren, nach dem Zensus mitnichten so gut sein wird wie angenommen, zeigen doch in aller Deutlichkeit die zahlreichen anhängigen Verfassungsklagen von rund 350 Kommunen sowie den Ländern Berlin und Hamburg aufgrund gravierender Mängel beim damals zugrundeliegenden Anschriftenregister und der verwendeten Software. Die noch immer vor dem BVerfG anhängigen Klagen sind übrigens „Schuld“ daran, dass die Löschung fast aller, hochsensibler und personenbezogener Datensätze aus dem Zensus 2011 noch immer nicht erfolgt ist, obwohl sie laut ZensG2011 eigentlich schon vor Jahren hätte erfolgen müssen.
Vielleicht haben sie ja wie ich den sehr aufschlussreichen Artikel „Wo die Karteileichen wohnen” auf SPIEGEL Online vom 11. Oktober 2016 lesen können. Wenn nicht empfehle ich ihnen das ganz dringend. Denn die Recherchen der Journalisten ergeben nicht nur ein ziemlich gutes Bild von etlichen der Probleme und Mängel des letzten Zensus, sie zeigen auch, dass die aufgetretenen Verzerrungen kein Einzelfall waren, sondern quer durch die Republik auftraten und so stark waren, dass die Zensusergebnisse nicht taugten, um auf ihrer Basis bis zum nächsten Zensus 2021 jährlich die Bevölkerungszahlen fortzuschreiben. Inzwischen habe deshalb das Statistische Bundesamt u.a. die Altersverteilung des Zensus komplett neuberechnet. Um ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis hinzubekommen, benutzte es dazu die Zahlen aus den kommunalen Melderegistern. Es korrigierte den Zensus also mit genau den Daten, die angeblich so schlecht sind, dass sie eigentlich durch den Zensus korrigiert werden mussten. Das versteht doch kein Mensch.
Ich finde es jedenfalls schon ziemlich erstaunlich, dass sie nun meinen, ein tragfähiges und sicheres Konzept für den Zensus 2021 zu haben, obwohl es bis heute keine Evaluation des Zensus 2011 gegeben hat. Leider beschleicht mich der Verdacht, dass hier wieder einmal etwas eiligst durchgezogen werden soll, ohne ausreichend durchdacht worden zu sein.
Diese, und etliche andere der genannten Fragen wollen wir im nun folgenden Gesetzgebungsverfahren geklärt wissen.
Vielen Dank.