KPD-Verbot muss neu bewertet werden
Jan Korte über das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren und den Zeitgeist in der frühen BRD
Erschienen in neues deutschland am 25.1.2017:
Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts im NPD-Verbotsverfahren ist für Linke auch historisch sehr interessant. Denn der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hält darin nicht länger an der Begründung des KPD-Urteils vom 17. August 1956 fest: »An der abweichenden Definition im KPD-Urteil, nach der es einem Parteiverbot nicht entgegenstehe, wenn für die Partei nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können, hält der Senat nicht fest.«
Nach den vom Verfassungsgericht jetzt formulierten Maßstäben für ein Parteienverbot hätte es auch kein Verbot der KPD geben dürfen. Das ist die Ironie des bürgerlichen Rechtsstaates: Im Nachhinein und wenn alle tot sind, bekommt man häufig doch noch Recht. Was nach heutigen Maßstäben als Gesinnungsurteil gegen die KPD zu werten ist, war damals Ausdruck der Staatsraison.
Das KPD-Verbot war der schwärzeste Tag in der Geschichte der westdeutschen Kommunistenverfolgung der 50er und 60er Jahre, in denen Staatsanwaltschaften Ermittlungsverfahren gegen bis zu 200.000 Personen durchführten, die kommunistischer oder prokommunistischer Aktivitäten verdächtigt wurden. Etwa 10.000 von ihnen wurden verurteilt.
Das in Europa - jenseits der damaligen faschistischen Diktaturen in Portugal, Spanien und Griechenland - einzigartige KPD-Verbot erwies sich als ein Mittel gesellschaftlicher Repression, die weit über den Kreis der unmittelbar Betroffenen hinauswirkte. Mit seiner Hilfe wurden sämtliche kommunistischen Massen- und Bündnisorganisationen zerrieben und aus dem öffentlichen Willensbildungsprozess ausgeschaltet.
Dass der Verbotsantrag gegen die KPD Ideologie war, kann man auch daran erkennen, dass die KPD de facto keinerlei politischen Einfluss in der BRD hatte und Anfang der 50er Jahre auf dem Weg zur Splitterpartei war. Bei den Bundestagswahlen 1953 erreichte sie gerade einmal 2,2 Prozent der Stimmen. Mit Blick auf diesen Zustand der KPD ist das Ausmaß der Verfolgung umso grotesker und schlimmer. Ähnliches und schlimmeres lässt sich heute zum Zustand der NPD sagen - und die Karlsruher Richter haben es gesagt. Und dennoch bleibt ein wichtiger Unterschied: Während damals die Bundesrepublik elf Jahre nach dem Ende des Faschismus von einer Atmosphäre des Antikommunismus geradezu getränkt war, lässt sich gegenwärtig nicht davon sprechen, dass die Ideologie der extremen Rechten auf verlorenem Posten steht. Wir erleben gegenwärtig eine Enthemmung des rechten Ressentiments, wie es vor einigen Jahren nicht vorstellbar war.
1956 hatten Kommunisten schlimmste politische Repressionen durch die Nazis, Zuchthaus, KZ und Emigration hinter sich und standen kurz darauf vor einer neuen, und in vielen Fällen alten, Ausgrenzung und Verfolgung - wenngleich es nicht mehr um das eigene Leben, sondern nur um die politische und bürgerliche Existenz ging. Anklagen und Urteile gegen Kommunistinnen und Kommunisten wurden teilweise von denselben Richtern und Staatsanwälten vertreten, die sie schon unter der Nazi-Justiz abgeurteilt hatten. Auch dieses dunkle Kapitel bundesdeutscher Rechtsgeschichte wurde dann aufgearbeitet, als es keine Karriere und fast keinen Lebenden mehr treffen konnte. Auch durch viel Druck der Linksfraktion im Bundestag ist die NS-Vergangenheit in Ministerien und Behörden der frühen Bundesrepublik thematisiert und durch zahlreiche Historikerkommissionen zumindest ansatzweise aufgearbeitet worden, allerdings 60 Jahre zu spät.
Im Jahr 2014 antwortete die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von mir zum KPD-Verbot von 1956, man sehe »keine Veranlassung, das genannte Urteil infrage zu stellen«. Eine Überprüfung komme »schon aus Gründen des Gewaltenteilungsprinzips und der Unabhängigkeit der Richter nicht in Betracht«. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht sich geäußert, die vorgebrachte Ausrede gilt nicht mehr. Jetzt muss es um eine politische Aufarbeitung gehen. Wir werden erneut die Bundesregierung nach ihren Folgerungen aus der historischen Bewertung des Zweiten Senats fragen. Wir werden nach politischen Einflussnahmen der Bundesregierung auf das damalige Urteil gegen die KPD fragen. Und danach, ob sie daran denkt, die wenigen noch lebenden Opfer der Kommunistenverfolgung materiell und ideell zu entschädigen.
Jan Korte ist stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag und Vorstandsmitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung.