"Aufgeschobenes Gedenken"
Erinnerungsort für die Opfer des deutschen Vernichtungskrieges 1939-1945 lässt auf sich warten
Die deutsche Besatzungsherrschaft zwischen 1939 und 1945 und der NS-Vernichtungskrieg in Ost- und Südosturopa bilden auch 75 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus eine Leerstelle in der deutschen Erinnerungspolitik. Und dies, angesichts von Abermillionen von Menschen, die in ihren Dörfern und Städten dem Terror von Wehrmacht, Einsatzgruppen und SS zum Opfer fielen oder in Konzentrations- und Vernichtungslagern, als Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene gefoltert und ermordet wurden. Diese Verbrechen, aber auch die deutsche Besatzungsherrschaft in Ländern wie Griechenland, den Niederlanden oder in Jugoslawien werden hierzulande - wenn überhaupt - dann nur fragmentarisch wahrgenommen. Ein markantes Zeichen des Erinnerns an die Opfer des NS-Vernichtungskrieges fehlt genauso wie eine systematische Aufarbeitung und Dokumentation der Verbrechen.
Dies zu ändern hatte sich die Große Koalition zu Beginn der Wahlperiode vollmundig vorgenommen. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD von 2018 findet sich auf Seite 168 folgende Absichtserklärung: „Bisher weniger beachtete Opfergruppen des Nationalsozialismus wollen wir anerkennen und ihre Geschichte aufarbeiten. Wir stärken in der Hauptstadt das Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskrieges im Osten im Dialog mit den osteuropäischen Nachbarn." Während für einzelne weniger beachtete Opfergruppen, so z. B. die sogenannten „Asozialen und Berufsverbrecher", im Konsens aller Fraktionen im Deutschen Bundestag mit Ausnahme der AfD ein größeres Maß an Anerkennung und Aufarbeitung erwirkt werden konnte, bleibt die von der Koalition angekündigte Stärkung des Gedenkens an die Opfer des deutschen Vernichtungskrieges im Osten bislang unbearbeitet. Trotz zahlreicher und zum Teil seit vielen Jahren vorliegender Vorschläge und Initiativen, hat die Bundesregierung bis heute keinerlei Planung vorgelegt. Deswegen richteten Jan Korte und die Linksfraktion die Kleine Anfrage "Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskrieges und des NS-Besatzungsregimes im Osten 1939-1945" an die Bundesregierung, um in Erfahrung zu bringen, wie der selbstformulierte Anspruch umgesetzt werden soll.
In der nun vorliegenden Antwort wälzt die Bundesregierung weitgehend die Verantwortung auf den Bundestag ab. Trotzdem enthält sie einige interessante Informationen und eine bemerkenswerte und begrüßungswerte Neupositionierung: Demnach vertritt die Regierung nunmehr die Auffassung, dass die Erinnerung an einzelne nationale Opfergruppen nur im gesamthistorischen Kontext erfolgen sollte. Das sagt die LINKE schon lange und hat bereits im Oktober 2018 einen entsprechenden Antrag für einen Gedenkort für alle Opfer des NS-Vernichtungskrieges vorgelegt. Auch die Feststellung, dass es sich bewährt habe, wenn der Deutsche Bundestag in Fragen der Errichtung national bedeutsamer Gedenkorte debattiert und entscheidet, ist sicher richtig. Und das könnte das Parlament ja schon lange. Mittlerweile gibt es auch einen vernünftigen Kompromissvorschlag von der Stiftung Denkmal und dem Deutschen Polen Institut, der sicher im Detail noch zu diskutieren ist. Man fragt sich also was eigentlich das verdammte Problem der Koalition ist? Es reicht einfach nicht aus, sich in Sonntagsreden und auf geduldigem Papier in der Verantwortung zu sehen, die Erinnerung an alle Opfer des Nationalsozialismus wachzuhalten, dann aber Verantwortungs-Ping-Pong zu spielen. Die Koalitionsfraktionen müssen jetzt endlich in die Socken kommen.
Über die Antwort der Bundesregierung berichtete ‚neues deutschland‘:
„Aufgeschobenes Gedenken“ (nd vom 5.8.2020)
Die Antwort selbst findet sich hier:
AW KA „Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskrieges und des NS-Besatzungsregimes im Osten 1939 bis 1945“ (Drucksache 19/21223)