"Vom Sektensitz zum Gedenkort?"
Deutschland und Chile könnten am Montag die Weichen für einen Gedenkort in der ehemaligen Colonia Dignidad stellen. Sie diente auch als Folterzentrum.
In der Colonia Dignidad, der ehemaligen Siedlung einer christlich-totalitären Sekte von Auslandsdeutschen in Chile, wurden von 1961 bis Mitte der 2000er Jahre schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen: Zwangsarbeit und sexueller Missbrauch an Bewohner*innen und während der Pinochet-Diktatur in Zusammenarbeit mit dem chilenischen Geheimdienst Folter und Mord an Oppositionellen – und das alles mit Wissen der Bundesregierung.
Nachdem 2016 der damalige Außenminister Steinmeier erstmals offiziell die Untätigkeit und das Versagen der Bundesregierung einräumte, sich vor den Opfern verneigte und Aufklärung versprach, forderte am 29.06.2017 der Bundestag in einem einstimmigen Beschluss die Bundesregierung auf, sowohl die historische und juristische Aufarbeitung der Verbrechen der Colonia Dignidad, als auch die Klärung der Besitzverhältnisse der Sekte voranzutreiben und ein Hilfskonzept für die Opfer vorzulegen. Jan Korte und die Linksfraktion nahmen dies zum Anlass, fast drei Jahre nach dem Beschluss, die Bundesregierung mit einer Kleinen Anfrage nach dem Umsetzungsstand zu fragen. Nun leigt die Antwort vor und die Bilanz bei der Aufarbeitung der Verbrechen der Colonia Dignidad fällt sehr durchwachsen aus. Das Antragsverfahren zum Hilfsfonds kommt, trotz Pandemie, gut voran. Mittlerweile konnten fast alle Anträge der eindeutigen Opfer bearbeitet und bereits ein Großteil der Hilfsgelder ausgezahlt werden. Nun wird es jedoch komplizierter, weil die Bewertung der Anträge von Menschen, die sowohl eine Opfer-, als auch eine Tätergeschichte haben, mehr Zeit und Recherche verlangt. Aber auch da kann man einigermaßen optimistisch sein. Damit wurde ein zentraler Punkt des einstimmigen Bundestagsbeschlusses weitgehend eingelöst. Bei anderen Aspekten der Aufarbeitung der Verbrechen der Colonia Dignidad sieht es hingegen weniger gut aus.
Jan Korte fordert daher: "Außenminister Maas und die gesamte Bundesregierung müssen einfach mehr Druck machen, damit sowohl bei der historischen und juristischen Aufarbeitung, als auch bei der Klärung der Besitzverhältnisse und der Demokratisierung der Sekte etwas passiert. Hier muss jetzt vor allem der Fokus in der Errichtung der Gedenkstätte und des Dokumentationszentrums, sowie bei der Unterstützung der Opfer in ihren Bemühungen mehr Transparenz und demokratische Kontrolle in das Firmengeflecht der Villa Baviera zu bringen, liegen. Ein wichtiger Hebel scheint mir dabei die Unterstützung der Kleinaktionäre zu sein, denen die Bundesregierung ganz konkret und praktisch mit der Beauftragung eines versierten Wirtschaftsanwalts, der ihre Interessen gegen die Gesellschafter und die Führungsclique vertritt, helfen könnte.
Die Umsetzung des Konzeptes für die Gedenkstätte und das Dokumentationszentrum auf dem Gelände der Colonia Dignidad ist jetzt die vordringlichste Aufgabe. Hierzu muss die Bundesregierung auf höchster Ebene mit der chilenischen Seite zu einer schnellen Grundsatzentscheidung kommen. Dann könnte bereits im Herbst, als wichtiges Zeichen dafür, dass es endlich mit der historischen Aufarbeitung voran geht, ein symbolischer Spatenstich erfolgen. Was insgesamt noch aussteht und endlich begonnen werden musss, ist eine politische Auseinandersetzung darüber, wie die Bundesrepublik und besonders die CDU/CSU mit faschistischen Verbrechern wie etwa Pinochet zusammengearbeitet hat."
Die taz berichtete über die Antwort:
"Vom Sektensitz zum Gedenkort?" (taz vom 16. 5. 2021)
Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Angrage der LINKEN findet sich hier:
„Aktueller Stand der Umsetzung des Bundestagsbeschlusses zur Colonia Dignidad“ (19-28200)