Geschichte wird gemacht
Es war ziemlich überraschend, dass einer der größten parlamentarischen Erfolge der Bundestagsfraktion DIE LINKE zum Ende der 16. Wahlperiode eben auf dem von mir betreuten Gebiet der Geschichtspolitik erzielt wurde: Mit der Rehabilitierung der so genannten "Kriegsverräter» gelang es uns eine wichtige Wegmarke für die geschichtspolitische Debatte zu setzen und die Anerkennung des Widerstands der "kleinen Leute", also die Würdigung derer, die sich der Fortsetzung des verbrecherischen Krieges mit ihren Mitteln widersetzt haben, zu erreichen.
Der Einsatz für die Erinnerung an die NS-Vergangenheit und die Anerkennung, Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer des Faschismus gehörte und gehört auch in dieser Legislaturperiode zu den wichtigen Punkten meiner Arbeit im Bundestag. Leider war unser Antrag »Widerstand von Kommunistinnen und Kommunisten gegen das NS-Regime anerkennen» (17/2201), in dieser Wahlperiode noch nicht mehrheitsfähig.
Während inzwischen sogar die großen Profiteure der NS-Zwangsarbeit aus der Wirtschaft ihre Firmengeschichten zwischen 1933 und 1945 aufarbeiten (natürlich erst jetzt, wo es fast keine realen Konsequenzen mehr hat), ist die Politik bei der Frage des Umgangs mit der NS-Vergangenheit in den Institutionen des Staates über Jahrzehnte untätig geblieben. Erst die Studie zum Auswärtigen Amt im Nationalsozialismus hat für eine stärkere Aufmerksamkeit gesorgt. Als Innenpolitiker habe ich insbesondere die Entstehungsgeschichte der deutschen Sicherheitsbehörden und Ministerien in der Nachkriegszeit in den Blick genommen. Gerade die Geheimdienste verweigern sich einer vollständigen Aufarbeitung ihrer »braunen Geschichte» bis heute dadurch, dass sie ihre Akten, sofern diese nicht längst vernichtet wurden, immer noch einem freien Zugang entziehen. Mit meiner Arbeit versuche ich dazu beizutragen, die Frage, wie der Aufbau der Geheimdienste und der Polizei nach 1945 vonstatten ging und welche personellen und ideellen Brüche bzw. Kontinuitäten dabei auftraten, zu klären. Beispielhaft seien hier die Kleinen Anfragen »Geheimhaltung von BND-Akten zur NS-Vergangenheit» (17/4819), »Vergangenheitsaufarbeitung des Bundesamtes für Verfassungsschutz» (17/4998), »Aufklärung über die Zusammenarbeit des BND mit NS-Tätern» (17/7271), »Neuerliche Vernichtung von BND-Akten zur NS-Vergangenheit» (17/8106) sowie »Geheimhaltung von Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz über Klaus Barbie» (17/8702) genannt. Die Geschichte des Kalten Krieges muss endlich aufgearbeitet werden.
Um etwas Licht ins Dunkel zu bringen habe ich für die LINKE neben einem Antrag »Alle BND-Akten zum Thema NS-Vergangenheit offenlegen» (17/1556) außerdem 2010 einen Antrag zur Aufarbeitung der NS-Geschichte aller dafür infrage kommender Ministerien ins Parlament eingebracht (»NS-Vergangenheit in Bundesministerien aufklären» 17/3748). Dabei geht es mir nicht »nur» um die Frage, wie diese Ministerien im Nationalsozialismus agiert haben, sondern vor allem um die Kontinuitäten nach 1945 bzw. 1949. Welche Leute aus Verwaltung und Politik konnten ihre Karrieren bruchlos fortsetzen, wer trug in der Ära Adenauer dafür die Verantwortung und in welcher Weise konnten sie Einfluss auf die frühe Politik der Bundesrepublik nehmen?
Die Skandale um die NS-Täter in den Reihen des Bundesnachrichtendienstes (BND) zeigen, wie wichtig und aktuell das Thema ist. Erst nach und nach wird für die Öffentlichkeit deutlich, dass der BND Massenmörder wie Eichmann vor dem Zugriff schützte und nicht davor zurückschreckte, direkte Täter des Holocaust wie Barbie, Rauff und viele andere für sich arbeiten zu lassen. Nicht zuletzt Anfragen und Anträge aus meinem Büro haben dazu beigetragen, diese Vorgänge öffentlich zu machen und eine breitere Aufklärung, gegen die sich das Kanzleramt bis heute sträubt, in Gang zu setzen. So befasste sich im Bundestag u.a. eine Anhörung des Kulturausschusses mit dem Thema. Trotz mehrerer entsprechender Anträge der LINKEN ist der freie Zugang zu historisch und politisch relevanten Informationen, der eine Voraussetzung für eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, für eine kritische Wissenschaft und für das demokratische Selbstverständnis der Bundesrepublik darstellt, immer noch in weiter Ferne.
Doch während es zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik Deutschland mittlerweile eine ganze Reihe von wichtigen Forschungsarbeiten und Artikeln gibt, wird ein wesentlicher Aspekt aber, ohne den man »den Frieden mit den Tätern» (Giordano) kaum verstehen kann, viel zu oft ausgeblendet: die Rolle des Antikommunismus sowohl bei der Verhinderung einer kritischen Geschichtsaufarbeitung als auch bei der Entwicklung der bundesdeutschen Demokratie.
In diesem Kontext habe ich auch versucht einen anderen Aspekt nicht aufgearbeiteter Geschichte des Kalten Krieges aufzugreifen: Durch eine umfangreiche Beschäftigung mit der unter dem Namen Colonia Dignidad (CD) bekannt gewordenen deutschen Sektensiedlung im Süden Chiles, in der über Jahrzehnte hinweg und vor allem während der Pinochet-Diktatur, auf systematische Art und Weise schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen wurden, sollte dieses dunkle Kapitel bundesdeutscher Außenpolitik beleuchtet werden. Die CD war keine Nazisekte. Sie vertrat jedoch extrem antikommunistische Positionen sowie Vorstellungen und Werte, die ihnen in rechtskonservativen und rechtsextremen Kreisen in Chile und Deutschland Sympathien verschafften. Waffenhändler, ehemalige Nazigrößen und Politiker rechtskonservativer Parteien beider Länder gingen in der CD ein und aus. Geheimdienste verschiedener Länder interessierten sich für die Aktivitäten der CD und mischten fleißig mit. Dies dürfte auch einer der Gründe dafür sein, wieso sich die Bundesregierung bis heute mit eigenen Wertungen oder Einschätzungen zur CD völlig zurückhält und keinerlei aktive Aufklärung betreibt. Durch Anfragen, Öffentlichkeitsarbeit und Anträge versucht die LINKE aufzuklären und die nach wie vor anhaltende Politik des Verharmlosens, Wegschauens und Untätigseins der Bundesregierung aufzubrechen.
Schließlich ging und geht es mir um die dauerhafte Verankerung der Erinnerung an die Verbrechen der Nazis. Insofern war es selbstverständlich, dass wir die Bundesregierung in einem Antrag dazu aufgefordert haben, die in finanziellen Schwierigkeiten befindliche Gedenkstätte des Vernichtungslagers Sobibor zu unterstützen und dazu Gespräche mit Polen zu führen (»Erhalt der Gedenkstätten nationalsozialistischer Vernichtungslager sicherstellen» 17/7028).
Alle Aspekte dieses Themas haben wir in einer Großen Anfrage zum Thema »Umgang mit der NS-Vergangenheit» (17/8134) gebündelt, für deren Beantwortung die Bundesregierung fast ein Jahr benötigte. Die Große Anfrage stieß auf ein großes mediales aber vor Allem auch wissenschaftliches Interesse. Zahlreiche Journalisten, Historiker, Gedenkstätten und Opferverbände traten in der Folge mit uns in Kontakt und in einen Meinungs- und Erfahrungsaustausch ein. Am 8. November 2012, also am Vorabend des geschichtsträchtigen 9. November, debattierte der Bundestag auf unseren Antrag hin über die Antwort auf die Große Anfrage. Diese Debatte, die sicherlich die entscheidende geschichtspolitische Beratung zu diesem Thema in der aktuellen Legislaturperiode war, und die anschließende Abstimmung über zahlreiche geschichtspolitische Anträge, stellen den vorläufigen Höhepunkt der parlamentarischen Beschäftigung zu personellen und institutionellen Kontinuitäten zwischen NS-Regime und früher Bundesrepublik dar. In meiner Rede habe ich versucht die Position der LINKEN und unsere Kritik am viel zu zögerlichen und halbherzigen Umgang bei Regierung und SPD deutlich zu machen. Wie der Kollege Patrick Kurth (FDP) bewies, erreichten leider nicht alle Redebeiträge das nötige intellektuelle Niveau und auch die Ablehnung zahlreicher wichtiger Anträge durch die schwarz-gelbe Mehrheit beweist: Bei der Aufarbeitung der Geschichte ist nach wie vor noch viel zu tun!
→ Zum vierten Teil des Rechenschaftsberichts: "Direkt gewählt - direkt ansprechbar"