Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des Bundeskanzleramtes verzögert sich
Nach langen Auseinandersetzungen wurde im November 2016 ein Forschungsprogramm zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Bundesministerien und zentraler deutscher Behörden auf den Weg gebracht. Zwei Projekte des Instituts für Zeitgeschichte München und des Zentrums für Zeithistorische Forschungen Potsdam mit vier Teilprojekten und ein weiteres der Universität Siegen befassten sich mit der Aufarbeitung der Nachkriegsgeschichte des Bundeskanzleramtes und sollten bis November 2020 abgeschlossen sein.
Jan Korte und die Linksfraktion haben deshalb bei der Bundesregierung nachgefragt, um den Stand der "Forschungsprojekte zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des Bundeskanzleramtes" zu erfahren. Aus der nun vorliegenden Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage geht hervor, dass sich die Aufarbeitung verzögert. Aufgrund der Corona-Krise konnten die Projekte bislang noch nicht ihre Arbeit zu Ende bringen, denn die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie hätten den vorgesehenen Ablauf "erheblich beeinträchtigt". Nach aktuellem Planungsstand werde nun "angestrebt“, die Forschungsprojekte im kommenden Jahr zwischen Ende März und Ende September abzuschließen. Die zentralen Ergebnisse würden dann voraussichtlich im Oktober 2021 im Rahmen des Deutschen Historikertags in München vorgestellt.
"Die Frage nach Kontinuitäten und Brüchen zum historischen Faschismus spielte und spielt für die Geschichte der Bundesrepublik seit 1949 eine herausragende Rolle", sagt der l1. Parlamentarische Geschäftsfüher der Fraktion Jan Korte. "Wenn man aber verstehen will, wie es dazu kam, dass in der frühen Bundesrepublik „der große Frieden mit den Tätern“ zu einem Fundament der Staatsgründung wurde, dann kommt man um eine Aufarbeitung der Rolle des Kanzleramts nicht herum. Hans Globke, einst Kommentator der Nürnberger Rassengesetze und bis 1945 in Hitlers Reichsinnenministerium tätig, steht wie kein anderer für die Kontinuität nationalsozialistischer Funktionseliten, die in Westdeutschland ihre Karrieren fortsetzen konnten. Aber es war eben nicht nur Hans Globke allein, der als graue Eminenz und Staatssekretär Konrad Adenauers von 1953 bis 1963 in der exekutiven Schaltzentrale die Rückkehr der alten Eliten in Staat, Wirtschaft, Militär und die Justiz organisierte. Eine vollständige Aufarbeitung der personellen und inhaltlichen Verbindungslinien bundesdeutscher Regierungspolitik nach 1949 ist lange überfällig. Deshalb wird es spannend, welche Ergebnisse bezüglich der Verantwortlichkeiten für die 'zweite Schuld', wie Ralph Giordano die Rückkehr der alten Eliten und das kollektive Schweigen über die NS-Verbrechen nannte, die Forschungsprojekte im kommenden Jahr vorlegen."
Pascal Beucker berichtete in der taz über die Antwort der Bundesregierung:
"Corona verzögert Aufarbeitung" (taz vom 18.12.2020)